Einsamkeit: Zwei Bücher, ein Thema, keine Rezension.

 

Nach einem Jahr Pandemie, das ich mehrheitlich allein im Home Office verbrachte, war gelegentliche Einsamkeit durchaus ein Thema für mich. Hinzu kamen Gespräche im Freund*innen- und Kolleg*innen-Kreis, bei denen ich von ähnlichen Empfindungen erfuhr. Menschen berichteten von der Auflösung sozialer Bindungen im Arbeitsteam aufgrund von Home Office. Andere gingen freiwillig ins Büro, um dem Alleinsein (oder der Einsamkeit?) zu entkommen.

 

 

Die Bücher

 

Manfred Spitzer: Einsamkeit. Die unerkannte Krankheit. Schmerzhaft, ansteckend, tödlich. Droemer Verlag. München 2018; ISBN 978-3-426-27676-1 317 Seiten, zahlreiche Diagramme, Tabellen und Fotos.

 

Eva Wlodarek: Einsam - Vom mutigen Umgang mit einem schmerzhaften Gefühl. Independently published. 2020; ISBN 9798670433471 245 Seiten (Original-Ausgabe: Kösel-Verlag. München 2015; ISBN 978-3-466-31032-6)

 

 

Warum gerade diese beiden Bücher, und wie ich auf sie stieß

 

Beim Besuch der heimischen Bibliothek zu Beginn der 3. Welle schrie mich der Titel eines Buches an: „Pandemie“! Es ist von Manfred Spitzer („Pandemie: Was die Krise mit uns macht und was wir daraus machen“. mvg Verlag. München 2020; ISBN  978-3-7474-0257-3 240 Seiten). Ich blätterte darin und entdeckte ein Kapitel zum Thema Einsamkeit. Nebenan im Regal stand Spitzers Buch „Einsamkeit“. Ich nahm beide Bücher mit. - Ein Freund, der sich gerade berufsbedingt mit dem Thema Einsamkeit befasste, ergänzte meine Lektüre und gab mir – unaufgefordert - das Buch von Eva Wlodarek. Insofern ist es durchaus dem Zufall zu verdanken, dass ich gerade diese beiden Bücher las.

 

Die Autor*en

 

Manfred Spitzer, Diplom in Psychologie, Promotion in Medizin und Philosophie, Habilitation für das Fach Psychiatrie, Professor für Psychiatrie an der Universität Ulm, ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm.

 

Eva Wlodarek, promovierte Diplom-Psychologin mit psychologischer Praxis in Hamburg, 27 Jahre lang Psychologin der Zeitschrift „Brigitte“.

 

Was mir an den Büchern auffiel – Das Äußere

 

Während die Buchtitel sich nur wenig unterscheiden, sind die Untertitel bemerkenswert anders: Ich empfinde sie wie hartes Stakkato („Schmerzhaft. Ansteckend. Tödlich“) gegenüber weichem Legato („Vom mutigen Umgang mit einem schmerzhaften Gefühl“).

 

Der Bucheinband zeigt bei Spitzer einen Mann allein auf einer Bank. Das Motiv ist wenig überraschend. Der rote Fisch auf schwarzem Grund hingegen (Umschlaggestaltung: Eva Wlodarek) ist ungewöhnlich.

 

Gemeinsame Grundannahmen

 

Beide Autor*en differenzieren zwischen „Einsamkeit“ und „Alleinsein“ (Wlodarek) bzw. „Einsamkeit“ und „sozialer Isolation“ (Spitzer).

 

„Niemand kann von außen beurteilen, ob wir einsam sind – höchstens, ob wir im Augenblick allein sind.“ (Wlodarek)

 

„Einsamkeit ist nicht das Gleiche wie soziale Isolation, sondern deren psychologischer Aspekt. Mit Einsamkeit wird ein subjektives Empfinden bezeichnet – man fühlt sich einsam -, wohingegen soziale Isolation objektiv gemessen werden kann (wie einsam ist man?).“ (Spitzer)

 

Was mir an den Büchern auffiel – Das Innere (I)

 

Das Buch von Eva Wlodarek war für mich beim ersten Lesen zu 100% verständlich. Es hat durchaus den Charakter eines Ratgebers, eines guten, wie ich finde. Die verwendete Literatur ist übersichtlich und beschränkt sich auf 15 Literaturstellen auf etwas mehr als einer Seite.

 

Eva Wlodarek schreibt über Einsamkeit in verschiedenen Lebensphasen und darüber, dass diese zu Beginn einer neuen Lebensphase dazu gehört. Die Autorin behandelt Themen wie „Einsam ohne Partner“, „Einsam durch den Verlust eines geliebten Menschen“, „Einsam durch Trennung“ und sie befasst sich mit Einsamkeit in der Partnerschaft.

 

Das Buch mündet – nach der persönlichen Inventur, die jeder vornehmen sollte - in einen Aktionsplan gegen Einsamkeit: Was genau suche ich (das Ziel präzisieren)? Wie finde ich eine Gemeinschaft Gleichgesinnter? Small Talk und die Kunst Kontakte zu knüpfen. Checkliste für die Partnersuche und die 10 Gebote des ersten Dates. Welche Beschäftigungen sind geeignet, damit wir es mit uns selbst gut aushalten können?

 

Die Stärken dieses Buches

 

Das Buch macht Mut und vermittelt Optimismus. Es regt zur Selbstreflexion an, indem es fragt: Kann es sein, dass wir einsam sind, weil wir nicht offen sind, weil wir nicht zeigen, was wir fühlen? Und: Kann es sein, dass wir einsam sind, weil bestimmte unserer Eigenschaften andere Menschen abschrecken?

 

Was mir an den Büchern auffiel – Das Innere (II)

 

Das Buch von Manfred Spitzer ist anspruchsvoller geschrieben. Ich schätze, dass ich beim ersten Lesen (also ohne intensives Durcharbeiten) ungefähr 70-80% verstanden habe. Das hat damit zu tun, dass Psychologie in hohem Maße auf Statistik fußt. Dennoch ist es ein gut lesbares populärwissenschaftliches Werk - mit 39 Seiten (!) Literaturverzeichnis.

 

Einige meiner „Erkenntnisperlen“ aus diesem Buch:

  • Der Zusammenhang zwischen Einsamkeit und sozialer Isolation ist nicht so groß ist, wie man erwarten könnte: „Jemand kann sich einsam fühlen, obwohl er nicht sozial isoliert ist. Umgekehrt kann jemand sozial isoliert sein, ohne sich einsam zu fühlen." (S. 23)
  • Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen körperlichen und sozialen Schmerzen, da unser Gehirn Schmerzen und Einsamkeit im gleichen Bereich verarbeitet (S. 61). Das bedeutet, das Erleben von Gemeinschaft lindert körperliche Schmerzen (S. 64), und das Schmerzmittel Paracetamol lindert – auch - soziale Schmerzen (S. 68).
  • Welche Interventionsmethoden eigenen sich zur Verminderung von Einsamkeit?

Kognitive Verhaltenstherapie zum Erlernen neuer Gedanken hatte den größten Effekt.
Soziale Unterstützung zeigte eine positive Wirkung.
Vermehrung der Kontaktmöglichkeiten hatte keine signifikante Wirkung.
Training von sozialen Fähigkeiten hatte keine signifikante Wirkung.

  • „Wer einem Ehrenamt nachgeht, ist […] im Mittel so gesund wie jemand, der volle fünf Jahre jünger ist und kein Ehrenamt ausführt!" (S. 208)
  • Weitere Mittel gegen Einsamkeit sind Geben, Helfen sowie Musizieren, Singen, Tanzen: „Bei den ersten beiden Tätigkeiten, Geben und Helfen, handelt es sich um Akte der Kooperation und bei den anderen drei Aktivitäten (Musik, Gesang, Tanz) um Akte der Koordination, die erwiesenermaßen Kooperation befördern." (S. 215)

 

Die Stärken dieses Buches

 

Es ist eine bemerkenswert umfassende Literaturrecherche zur neueren Einsamkeitsforschung und verdeutlicht die ungünstigen Auswirkungen von Einsamkeit und Isolation auf Krankheitshäufigkeit und Sterblichkeit. Das Buch betrachtet Einsamkeit nicht nur als persönliches, sondern auch als gesellschaftliches Problem.

 

Fazit und Ausblick

 

Das Fazit beider Autor*en lautet: Einsamkeit ist kein Schicksal. Wir können etwas dagegen tun.

 

Und meine persönliche Leseempfehlung? Beide Bücher sind lesenswert, die gemeinsame Schnittmenge ist erstaunlich gering, und die Tipps ergänzen sich auf wunderbare Weise. – Also: Beide lesen!

 

Ausblick: Beide Autor*en widmeten sich auch folgenden Themen, die einander tangieren: „Einsamkeit suchen“ (Spitzer) und „gut mit sich allein sein können“ (Wlodarek). - Ein Gespräch mit Freunden bescherte mir folgerichtig gleich die nächste Leseempfehlung: Michael Bordt (ein deutscher Jesuit) verfasste „Die Kunst sich selbst auszuhalten. Ein Weg zur inneren Freiheit.“ ZS Verlag. München 2013; ISBN 978-3-89883-388-2 96 Seiten.